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Die Orchideenbotanik vom klassischen Altertum bis zur Gegenwart

Teil 1 der Maturarbeit von Roland Wüest

Einleitung

Orchideen stellen die arten- und variantenreichste Blütenpflanzenfamilie der Erde dar. Heute kennt man ungefähr 30'000 Arten, die zu rund 750 Gattungen zusammengefasst sind. Von diesem Reichtum fallen immerhin 74 Spezies, aufgeteilt in 29 Gattungen, auf die Schweiz, wo aufgrund ihres Seltenheitswertes und ihrer Schönheit allesamt unter Naturschutz stehen. Die grösste Artenvielfalt besteht in der fernöstlichen Tropen- und Subtropenzone. Am gröbsten lassen sich Orchideen in baum- und erdbewohnende Arten unterteilen. Während sich die baumbewohnenden fast ausschliesslich auf den tropischen Regenwald beschränken, sind die erdbewohnenden in nahezu allen Klimazonen vertreten. Daraus geht hervor, dass erdbewohnende betreffend Klima und Biotop je nach Art ganz unterschiedliche Vorlieben haben: Die einen bevorzugen konstantes feuchtwarmes Tropenklima, andere fühlen sich im rauen Hochgebirge, im sturmgepeitschten südamerikanischen Feuerland oder sogar in der Polarzone Nordskandinaviens wohl. Ihre Habitatstypen können von Wäldern, Feuchtgebieten, Magerwiesen bis zu Steppen- oder Wüstenregionen variieren. Die Besiedlung von extremen Lebensräumen ist nur dank ihrer eigentümlichen Symbiose mit Mykorrhiza-Pilzen (Wurzelpilze) möglich.
Wie nachfolgendes einheimisches Beispiel zeigt, sind Orchideen auch punkto Blütengrösse und Anzahl Blüten pro Stängel ausserordentlich verschieden. Gestützt auf ihre Bestäuber (Insekten, Vögel, Fledermäuse, Selbstbestäubung, Apomixis [Samenbildung ohne Bestäubung]), erzeugen Orchideen ebenfalls sehr unterschiedliche Düfte. Der zitierten Variabilität sowie ihrer hohen Entwicklung wegen bezeichnet die Wissenschaft Orchideen als "Pflanzen der Superlative".
Stammesgeschichtlich zählen Orchideen zu den jüngsten Pflanzenfamilien der Welt. Die älteste Fossil-Darstellung stammt aus Oberitalien und dürfte zirka 40 Millionen Jahre alt sein. Den Ursprung der Orchideen vermutet man wegen ihres Florenreichtums in Südostasien. Dort bestehen schon seit Jahrtausenden enge Beziehungen zwischen Menschen und Orchideen.
Cypripedium calceolus / Frauenschuh
 
Cypripedium calceolus / Frauenschuh
Blüte mit bis zu 10 cm Durchmesser und 1-4 Blüten pro Stängel
Fotografie: Rossberg SZ, 27.5.1995;RW
Malaxis monophyllos / Einblatt-Weichkraut
 
Malaxis monophyllos / Einblatt-Weichkraut
Blüte mit nur wenigen mm Durchmesser und bis zu weit über 100 Blüten pro Stängel
Fotografie: Kunkelspass GR, 19.7.1992;RW

Orchideenforscher von der Antike bis zur heutigen Zeit

Orchideenforscher von der Antike bis zur heutigen Zeit Der Mensch hatte schon in seinen Ursprüngen gelernt, essbare und giftige Pflanzen auseinander zu halten und sich heilende Wirkungen zu Nutze zu machen. In der Jungsteinzeit (5000-3000 v. Chr.) wurde der Mensch sesshaft. Er begann, Nutzpflanzen zu züchten. Das neue Wissen wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben.

Klassisches Griechenland und Römisches Reich

Die wissenschaftliche Erforschung der Pflanzenwelt nahm im klassischen griechischen Altertum im 5. Jahrhundert v. Chr. ihren Anfang. Da botanische und medizinische Forschung jahrhundertelang miteinander verbunden waren,
schrieben viele berühmte Botaniker auch als hervorragende Ärzte Geschichte.
Hippokrates (460-370 v. Chr.) war der bekannteste Arzt seiner Epoche. Er begründete die wissenschaftliche Heilkunde und verabreichte den Kranken gezielt pflanzliche Heilmittel.
Theophrastos (372-287 v. Chr.) schrieb ein Handbuch über allgemeine und angewandte Botanik. In diesem Werk finden wir erstmals die Bezeichnung "Orchis". Er wählte sie wegen der Ähnlichkeit gewisser Orchideenknollen mit Hoden. Diesen Knollen sprach er eine Wirkung als Aphrodisiakum (eine den Geschlechtstrieb anregende Substanz) zu.
Dioskurides, ein damaliger Arzt aus Kleinasien, verfasste im 1. Jahrhundert n. Chr. ein fünfbändiges Werk über alle bekannten Heilmittel, das bis heute erhalten und in der Kaiserlichen Bibliothek in Wien aufbewahrt ist. Bis ins 17. Jahrhundert diente dieses Werk als Grundlage der Arzneimittellehre. Darin beschrieb er vier Orchideenarten, die als Aphrodisiaka Verwendung fanden.
Die Römer sahen in der Pflanzenkunde vordergründig den wirtschaftlichen Nutzen. Demzufolge förderten sie die Buchproduktion über Landwirtschaft.
Plinius der Ältere (23-79) befasste sich zu jener Zeit als einziger Römervertreter ernsthaft mit "weltweiten" Naturerscheinungen. Er gab das gesamte vor seiner Existenz erforschte Wissen in 37 Bänden wieder. Eigenerkenntnisse respektive kritische Anmerkungen fehlen hingegen.

Mittelalter

Das christliche Mittelalter (ca. 500-1300) erwies sich in Europa als wissenschaftlich unfruchtbarer Zeitabschnitt. Im Gegensatz zur islamischen Welt wurde in Europa während annähernd 1000 Jahren kaum mehr naturwissenschaftliche Forschung betrieben. Man ging davon aus, dass die griechischen Klassiker mit ihren Werken den endgültigen Wissensstand erreicht hätten und sich daher jegliche weitere Forschung erübrige. Lediglich Heilpflanzenkoryphäe Hildegard von Bingen (1098-1179) vertiefte ihr Fachwissen, indem sie nach eigenen Beobachtungen und Erfahrungen viele Heilpflanzen beschrieb.

Renaissance

In der Renaissance, in Italien ab Beginn des 14., in Mitteleuropa ab Ende des 15. Jahrhunderts, setzte eine rasante Entwicklung der Wissenschaften ein. Nebst dem erfundenen Buchdruck begannen spanische und portugiesische Seefahrer die Erde zu entdecken. Die Fortschritte in der Malerei kamen auch der Qualität von Pflanzenbildern zugute. Beim Anfertigen von Vorlagen, Aquarellen und Tuschezeichnungen achtete man in der Natur nun besonders auf Einzelheiten. Spezialisierte Holzschneider übertrugen die Gemälde auf Holzstöcke, wo sie zugeschnitten und anschliessend davon Duplikate gedruckt wurden.
In dieser Epoche prägten im deutschsprachigen Raum vier Ärzte die Botanik: Hieronymus Bock, Otto Brunfels, Leonhart Fuchs und Conrad Gesner. Wie ihre Vorgänger befassten sie sich ausgiebig mit den Heilpflanzen.
 
Leonhart Fuchs (1501-1566) war 31 Jahre lang Medizinprofessor in Tübingen. Grossen Erfolg verzeichnete er mit seinem 1543 erschienenen Werk "New Kreüterbuch". Die Rohschrift zum zweiten Band blieb sehr lange verschollen. Erst 1986 wurden daraus die bezaubernden Orchideenabbildungen veröffentlicht.
Conrad Gesner (1516-1565) war der überragende Naturwissenschaftler seiner Zeit. Sein botanisches Werk "Naturgeschichte der Pflanzen", in dem er als Weltneuheit die Vegetation in Höhenstufen gliederte, war damals in Sachen Umfang und Genauigkeit unüberbietbar. Gesner arbeitete nicht nur naturwissenschaftlich, auch in den Geisteswissenschaften schuf er sich hohes Ansehen. Im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen war der ausgezeichnete Beobachter und Zeichner frei von Ruhmessucht.
Der Zürcher wuchs in finanziell bescheidenen Verhältnissen auf. Ein Stipendium ermöglichte ihm das Studium in Paris. In die Schweiz zurückgekehrt, erwarb er an der Universität Basel den Doktor der Medizin und wurde anschliessend als Stadtarzt wieder nach Zürich berufen. Dort gründete Gesner zusätzlich zwei botanische Gärten.
Im Alter von 49 Jahren wurde die beliebte Persönlichkeit von der Pest jäh aus ihrem Leben gerissen.
Ein anderer bedeutender Botaniker der Renaissance war Cornelius Gemma (1535-1579). Er publizierte die erste Orchideenmonographie (nur diese Pflanzenfamilie betreffende Untersuchungsergebnisse) und beschrieb mehr als 30 in Belgien gefundene Orchideenarten.

Botaniker des 17. und 18. Jahrhunderts

Im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts ermöglichten ausgedehnte Forschungsreisen eine Erweiterung und Vertiefung der naturwissenschaftlichen Materie. In der Botanik begann man mit der systematischen Gliederung von Blütenpflanzen durch Umsetzung der Blütenaufbau-Analysen.
Caspar Bauhin (1560-1624) entstammte einer französischen Hugenottenfamilie. Er war ebenfalls Arzt und stiess durch sein zusätzliches Heilpflanzenstudium zur Botanik. In Basel wirkte er als Anatomie- und Botanikprofessor, später folgte eine Anstellung als Leibarzt des Herzogs von Württemberg. Er legte sowohl in der Medizin als auch in der Botanik grossen Wert auf eine klare Nomenklatur (eindeutige Namensgebung) und führte die Gattungen ein.
John Ray (1628-1705) leistete im 17. Jahrhundert den wichtigsten Beitrag zum Ausbau des natürlichen Pflanzensystems. Er war Priester und Lektor für alte Sprachen in Cambridge (England). In seinem Werk "Historia plantarum", das drei Bände umfasst und zwischen 1686 und 1704 erschien, stellte er folgende Regeln auf, die auch heute noch grösstenteils gültig sind (Auflistung aus "Die Orchideen der Schweiz und angrenzender Gebiete"):
 
• Namen sollen nicht verändert werden, um Verwirrung und Irrtum zu vermeiden.
• Merkmale müssen distinkt und exakt definiert sein; solche, die auf Vergleich beruhen (wie z.B. Grössenunterschiede), sollen nicht verwendet werden.
• Es ist darauf zu achten, dass verwandte Pflanzen nicht getrennt, unähnliche und einander fremde nicht vereinigt werden.
• Merkmale sollen für jedermann leicht feststellbar sein.

Carl von Linné (1707-1778) entpuppte sich mit seiner vorzüglichen Beobachtungsgabe und einem phänomenalen Gedächtnis als einer der wichtigsten Naturwissenschaftler des 18. Jahrhunderts. Er wurde als Carl Linnaeus in Südschweden geboren. Mit wenig Freude absolvierte Carl die Grundschule; ein Arzt und Physiklehrer erteilte ihm Privatunterricht. Im Alter von 20 Jahren startete er sein Studium an der Universität Lund. Später wechselte er nach Uppsala. Noch als Student erhielt er seine erste Anstellung als stellvertretender Dozent und Demonstrator am Botanischen Garten. 1732 unternahm er seine erste wissenschaftliche Erkundungsfahrt nach Lappland. 1735 reiste er nach Holland und promovierte in Hardewijk zum Doktor der Medizin. Noch im selben Jahr erschien sein weltbekanntes Werk "Systema naturae", in dem er die Naturreiche "Tiere", "Pflanzen" und "Steine" vorstellte. 1739 eröffnete er in Stockholm mit gutem Erfolg eine Arztpraxis und gründete gleichzeitig mit einem Kreis von Gelehrten die Schwedische Akademie der Wissenschaften. Im Jahre 1741 wurde Linnaeus als Professor für Anatomie und Medizin erneut nach Uppsala berufen. Diese nördlichste Universitätsstadt Europas blieb für den Rest seines Lebens das Zentrum seines Wirkens. Für stille Arbeit und Musse zog er sich jeweils ins 10 km nördlich gelegene Hammerby zurück. 1762 erhielt Carl Linnaeus den Adelstitel und hiess von da an Carl von Linné. Sein Tod im Januar 1778 bedeutete für ihn die Erlösung nach einem schweren Schlaganfall. Carl von Linné
In der Orchideenbotanik ist Linné vor allem bekannt wegen der Einführung der binären Nomenklatur (Doppelnamengebung) für Individuen. Dabei wird jede Spezies mit einem Doppelnamen angesprochen: Der erste Name, ein Substantiv, gibt die Gattung an, der zweite, ein Adjektiv, die Art.
 
Beispiel am Bleichen Knabenkraut (Orchis pallens L.):
• Orchis: Name der Orchideengattung, Substantiv
• pallens: Name der Art, Adjektiv (bleich)
 
Hinter 37 wissenschaftlichen Namen schweizerischer Orchideenarten steht streng genommen die Abkürzung "L.". Sie besagt, dass Linné die Spezies als Erster beschrieben und benannt hat.
Albrecht von Haller (1708-1777) zeichnete sich als einer der herausragendsten Universalgelehrten des 18. Jahrhunderts aus. Er war nicht nur anerkannter Arzt und Botaniker, sondern auch Schriftsteller, der sich mit theologischen und philosophischen Problemen befasste. Er wurde in Bern geboren, wo er nach seinem Studium als Arzt tätig war. Später nahm er an der neu entstandenen Universität Göttingen eine Professur für Anatomie, Chirurgie und Botanik wahr. 1742 erschien sein botanisches Werk "Aufzählung der einheimischen Pflanzen der Schweiz"; 1768 veröffentlichte er sein pflanzenkundliches Hauptwerk "Unvollendete Geschichte der einheimischen Pflanzen der Schweiz". Die zahlreichen Abbildungen einheimischer Orchideen in Form von Kupferstichen sind punkto künstlerischer Darstellung und Präzision kaum zu übertreffen. Als Haller 1777 nach jahrelangen körperlichen Beschwerden starb, konnte sich die Schweiz dank ihm als das botanisch am besten erforschte Land Europas nennen.

Orchideenforscher des 19. und 20. Jahrhunderts

Als die Verkehrswege um die Jahrhundertwende 18./19. Jh. besser wurden, unternahmen die Wissenschaftler immer häufiger weite Reisen, während denen sie intensiv Material für ihre Forschungen sammelten. In England und Deutschland entstanden umfangreiche Pflanzenkollektionen, insbesondere mit seltenen Orchideen aus den Tropen.
Innerhalb der Botanik entwickelte sich ein neues Fachgebiet, die Orchideologie, als deren Vater John Lindley (1795-1865) gilt. Er war Sekretär der berühmten Royal Horticultural Society in London. Seine Beobachtungen, Beschreibungen neuer Arten sowie seine kulturellen Experimente förderten den gärtnerischen Wert der Orchideen massiv. Zudem verfasste er diverse Regionalfloren, die wichtige Beiträge zur allgemeinen Botanik lieferten.
Der aus dem Herzogtum Braunschweig stammende Naturforscher Karl Ludwig Blume (1796-1862) war ab 1818 als Arzt in den holländisch-ostindischen Kolonien tätig und widmete sich ausserdem der damals noch weithin unbekannten Flora auf Java. Seiner dabei entdeckten neuen Orchideengattung gab er zu Ehren des deutschen Naturforschers Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied den Namen Neuwiedia. Im Jahre 1828 wählte man Blume zum Professor an die niederländische Universität Leiden. Zum gleichen Zeitpunkt wurde er Direktor des Botanischen Gartens sowie des berühmten bis heute existierenden Reichsherbariums.
Charles Robert Darwin (1809-1882) war wohl der berühmteste, aber auch umstrittenste Biologe seiner Zeit. Er wuchs in einer kinderreichen Familie in Shrewsbury bei Birmingham (England) auf und studierte Medizin an der Universität Edinburgh und anschliessend Theologie an der Universität Cambridge. Grossvater Erasmus Darwin brachte ihn mit seinen Vorstellungen über eine Evolution der Organismen auf den Naturforschungspfad. Von 1831 bis 1836 begleitete Charles eine Expedition nach Südamerika und in den pazifischen Raum. Die Auswertungen der auf dieser langen Reise gesammelten Materialien und seine dabei angeeigneten phänomenalen Kenntnisse bildeten die Basis für seine ergründete Evolutionstheorie (Abstammungslehre). Darin besagt er, dass auf die Dauer nur jene Arten von Organismen eine Überlebenschance hätten, die imstande seien, bei der Fortpflanzung günstige Merkmale auf ihre Nachkommen zu übertragen. Die schlecht angepassten Spezies stürben aus ("The Survival of the Fittest").
Orchideologisch machte Darwin insofern von sich reden, als er schon damals realisierte, dass sich Orchideenblüten in fixe Grundbestandteile zerlegen lassen.
Später setzte sich Darwin mit den Bestäubungsvorgängen europäischer und tropischer Orchideen auseinander und fand als bravouröser Beobachter die Selbstbestäubung gewisser Arten heraus. Diese Materie faszinierte den Wissenschaftler derart, dass er ihr sogar ein eigenes Buch widmete.
Charles Robert Darwin
Heinrich Gustav Reichenbach f. (1824-1889) erwies sich als bedeutendster Orchideologe des 19. Jahrhunderts. Er wurde in Leipzig als Sohn des berühmten Botanikers Heinrich Gottfried Ludwig Reichenbach (daher rührt der merkwürdige Zusatz "f." hinter seinem Namen, der "filius" [Sohn] bedeutet) geboren. Schon als 18-Jähriger begann er, sich auf die Orchideenbotanik zu konzentrieren, indem er oft mit John Lindley zusammenarbeitete. Mit über 1'500 angefertigten Zeichnungen unterstützte er seinen Vater bei seinem mehrbändigen Werk "Icones Florae Germanicae et Helveticae". Reichenbach f. wurde 1863 in Hamburg Botanikprofessor und Direktor des dortigen Botanischen Gartens. 1865 - nach Lindleys Tod - stieg er zum neuen "König der Orchideen" auf. Der eingefleischte, strebsame Forscher setzte in der Orchideenbotanik folgenden Akzent seines eigenwilligen Charakters: Er kreierte die Gattung Aa, um sicherzustellen, dass ein von ihm stammender Gattungsname bei alphabetischer Reihenfolge als Erster erscheinen muss. - Sein orchideologisches Hauptwerk, "Orchideographica Europaea" von 1851, verkörperte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die relevanteste Bearbeitung der europäischen Orchideen. Heinrich Gustav Reichenbach f.
Paul Ascherson (1834-1913) und Paul Graebner (1871-1933) waren als wissenschaftliche Sachbearbeiter am Botanischen Garten Berlin-Dahlem aktiv. Sie befassten sich mit der gesamten mitteleuropäischen Flora und spezialisierten sich auf kritische Orchideenformenkreise sowie -hybriden. Ihr hochrangiges Nachschlagewerk "Synopsis (vergleichende Übersicht) der mitteleuropäischen Flora" findet auch heute noch grossen Anklang.
Edmond-Gustave Camus (1852-1915) arbeitete beruflich als Apotheker in Paris. Schon früh machte er mit seinen botanischen Studien auf sich aufmerksam. Auf unzähligen Exkursionen sammelte er Belegmaterial, beobachtete, zeichnete und notierte seine Erkenntnisse. Zuerst befasste er sich ausgiebig mit der französischen Orchideenflora; dann erweiterte er seinen Horizont mit der gesamten europäischen und mediterranen Orchideologie. Sein Hauptwerk, "Iconographie des Orchidées d'Europe et du Bassin méditerranéen", entstand als Gemeinschaftsarbeit mit seiner Tochter Aimée Antoinette (1879-1965). Bei Orchideenfragen wird dieses Werk auch heutzutage noch rege konsultiert.
Rudolf Schlechter (1872-1925) dürfte zusammen mit John Lindley und Heinrich Gustav Reichenbach f. der einflussreichste Orchideenspezialist gewesen sein. In Südafrika startete der gelernte Gärtner aus Deutschland eine Karriere als Pflanzensammler und beschrieb Hunderte von neuen Orchideenarten. Seine beiden begehrten Nachschlagewerke tragen die Namen "Die Orchideen" respektive "Das System der Orchidaceen (Orchideengewächse)". Einige von Schlechters Herbarpflanzen, fielen 1943 am Botanischen Museum Berlin-Dahlem leider einem Bombenangriff zum Opfer. Ein grösserer Teil dieser wertvollen Typusbelege (im Herbarium aufbewahrte neu beschriebene Arten) überstand den Krieg insofern, als sich die getrockneten Pflanzen zu jener Zeitspanne "glücklicherweise" zur Ausleihe an anderen Instituten befanden.
Gustav Hegi (1876-1932) war Botanikprofessor und Schweizer Generalkonsul in München. Mit einem grossen Mitarbeiterstab verfasste er die "Illustrierte Flora von Mitteleuropa". Das umfangreiche Kapitel über die Orchideenfamilie enthält eine Fülle wissenswerter Kriterien.
Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich verschiedene Autoren intensiv mit Problemen der schwierigen Orchideengattung Dactylorhiza (Fingerwurz), schwierig deshalb, weil die Dactylorhiza-Arten sich zum Teil sehr ähneln, untereinander leicht Hybriden bilden und als Bastarde fortpflanzungsfähig sind. In grossflächigen Biotopen (meistens Feuchtgebiete) kann daher die Situation eintreten, dass die Individuenzahl der Mischformen jene der reinen Arten klar übertrifft. Auch in Botanikerkreisen nimmt man in einem solchen Fall das Wort "Chaos" in den Mund. Grundlegendes zu diesem Thema leistete der estnische Botaniker Johannes Christoph Klinge (1851-1902) mit seinen gründlichen Merkmaluntersuchungen am Botanischen Garten St. Petersburg (Russland). Später führten auch Alfred Fuchs (1872-1927), Oberamtsrichter in Augsburg; Hermann Ziegenspeck (1891-1959), bayrischer Botaniker und Apotheker in Königsberg; George Claridge Druce (1850-1932), britischer Botaniker, Pharmazeut und Chemiker; sowie das britische Ehepaar Heslop-Harrison Analysen betreffend diese Problematik durch.
Ein weiterer Engländer, Orchideologe Masters John Godfery (1856-1945), trat orchideenmässig in die Fussstapfen Darwins, indem er neben allgemeinen Untersuchungen an europäischen Orchideen die Forschungsarbeiten über Bestäubungsvorgänge fortsetzte. Sein Werk über Orchideen Grossbritanniens wird von Fachleuten dank den vielen von seiner Frau, Hilda M. Godfery, geschaffenen grandiosen Farbtafeln als Kleinod der Orchideenliteratur bezeichnet.
Gottfried Keller (1873-1945, nicht zu verwechseln mit dem Schriftsteller!) wirkte neben seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt auch als Politiker. Während mehr als 30 Jahren vertrat er im Ständerat seinen Heimatkanton Aargau.
Mit der gleichen Hingabe und Gewissenhaftigkeit widmete er sich zudem der Erforschung europäischer und mediterraner Orchideen. Der von ihm zwischen 1930 und 1940 verfasste zweite Band "Monographie und Ikonographie der Orchideen Europas und des Mittelmeergebietes" - der erste Band wurde von Rudolf Schlechter geschrieben - zählt zu den orchideologischen Standardwerken. Kellers zweites grosses Hauptwerk ist die Anlage einer umfangreichen Kollektion prachtvoller Aquarelle europäischer Orchideen. Sie entstand im Laufe von 40 Jahren und umfasst knapp 1200 Tafeln. Die Sammlung bietet dem Betrachter einen wundervollen Überblick über den Formenreichtum der Orchideenflora ganz Europas und des Mittelmeergebietes. Viel Originalmaterial hat Keller selbst gesammelt, weiteres stellte ihm ein Stab hilfsbereiter Mitarbeiter zu. Gemäss seinem letzten Willen darf die Kollektion weder verkauft noch aufgeteilt werden. Heute ist sie dem Naturama Aarau anvertraut und jedem Orchideenliebhaber auf Anmeldung hin zugänglich.
Eine ganze Palette wichtiger Erkenntnisse über die schweizerische Orchideenflora verdanken wir Rudolf Gsell (1892-1953). Der Zürcher studierte Geologie und arbeitete während mehrerer Jahre als Ölgeologe in Südamerika und Ostindien. 1933 kehrte er in die Schweiz zurück und war vorwiegend in der Süd- und Westschweiz auf Orchideenpirsch. Als einer der Ersten führte er Blütenmessungen zur Bestimmung schwieriger Arten und Bastarde durch, was ihm den Spitznamen "Orchimeter" eintrug.
Der gebürtige Berliner Erich Nelson (1897-1980) schlug nach dem Ersten Weltkrieg vorerst eine Laufbahn als Kunstmaler ein. Seine Leidenschaft waren Landschaftsaquarelle und Vegetationsstudien. Auf der Italienreise von 1928 begegnete er seinen ersten wild wachsenden Orchideen. Sie sollten fortan seinen Lebensinhalt als Künstler und Forscher bilden. Seinem Freund Hermann Fischer stellte er zur Vollendung dessen Werks über Orchideen Deutschlands und angrenzender Gebiete seine fantastischen Aquarelle zur Verfügung.
Wegen des erstarkten Nationalsozialismus musste Nelson mit seiner Frau Deutschland verlassen. Sie verlegten ihren Wohnsitz nach Südtirol. Von dort aus unternahmen die beiden ausgedehnte Expeditionen in Italien, nach Palästina, in die Türkei sowie nach Spanien.
Zitat der heute pensionierten deutschen Orchideologen Siegfried Künkele und Karlheinz Senghas aus dem Jahre 1980:
"Noch nie zuvor hat ein Orchideenforscher die Erkenntnisse im Gelände aus derart riesigen Räumen selbst erwandert und erarbeitet!"
1938 wurde Nelson der Reisepass entzogen. Er flüchtete in die Schweiz, wo er in Chernex oberhalb Montreux die verdiente Ruhe und Sicherheit zur Fortsetzung seiner Aktivitäten fand.
Seine zwischen 1954 und 1976 veröffentlichten Hauptwerke, die durch hohe künstlerische Qualität sowie wissenschaftliche Genauigkeit gekennzeichnet sind, stützen sich auf Forschungsergebnisse aus den bereisten Territorien.
Der niederländische Biologe Pieter Vermeulen (1899-1981) verkörperte einen der kompetentesten Orchideologen des 20. Jahrhunderts. Neben der Herausgabe der "Flora Neerlandica" beschäftigte er sich vorwiegend mit der Grossgliederung der Orchideen. Seine minutiösen anatomischen Untersuchungen bilden auch heute noch Grundlage für die Charakterisierung diverser europäischer Orchideengattungen.
Reszö von Soó (1903-1980) wurde in Rumänien geboren. Sein Botanikstudium absolvierte er in Budapest. Bereits mit 26 Jahren erlangte er dort die Professorwürde. 1952 wurde er zum Ordinarius befördert und zugleich zum Direktor des Botanischen Gartens Budapest ernannt.
Seine wissenschaftlichen Erzeugnisse sind enorm: Er ist Verfasser oder Koautor von 28 Büchern, rund 500 wissenschaftlichen Beiträgen und zirka 3000 Rezensionen (kritische Analysen bestehender Werke). Als sein Hauptwerk gilt die systematische und geobotanische Bearbeitung der ungarischen Flora. Ferner revidierte er Gottfried Kellers zweiten Band der "Monographie und Ikonographie der Orchideen Europas und des Mittelmeergebietes". Sein letztes bedeutendes Werk war ein Beitrag zur "Flora Europaea", für die er die Bearbeitung der komplizierten Orchideengattungen Dactylorhiza (Fingerwurz), Ophrys (Ragwurz) und Orchis (Knabenkraut) übernahm.

Orchideologen der heutigen Zeit

In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Personen, die sich ausschliesslich oder hauptsächlich mit Orchideenbotanik befassen, frappant gestiegen. Es gibt auch immer mehr Hobby-Botaniker, welche dieser Materie verfallen. Dies bestätigt den zunehmenden Enthusiasmus, den diese imponierende Pflanzenfamilie auf den engagierten Forscher oder Naturfreund bewirkt.
Hans Sundermann, Biologieprofessor der Universität Wuppertal im Ruhestand, hat mit seinem erstmals 1970 erschienenen Buch "Europäische und mediterrane Orchideen" sowie der Organisation der seit 1964 in regelmässigen Abständen stattfindenden Wuppertaler Orchideentagungen schon viel zur Bereinigung von Orchideenproblematiken beigetragen.
Karlheinz Senghas, pensionierter Direktor des Botanischen Gartens Heidelberg, widmet sich überwiegend tropischen Orchideengattungen. In Zusammenarbeit mit Hans Sundermann trägt er entscheidend zum Gelingen der Wuppertaler Orchideentagungen bei, und zwar als Mitherausgeber der abgefassten Ergebnisse dieses Anlasses sowie als Fachmann für Fragen zu Nomenklatur (wissenschaftliche Namensgebung) und Systematik (Einordnung in Verwandtschaftsgruppen).
Das Ehepaar Edeltraud und Othmar Danesch, beides pensionierte Privatgelehrte aus Göfis (Vorarlberg), geben seit Ende der Fünfzigerjahre orchideologische Fachliteratur heraus. Während Edeltraud Danesch die wissenschaftlich fundierten, aber leicht verständlichen Texte abfasst, sorgt Othmar Danesch mit seiner meisterhaften Makro-Fotografie für spektakuläre Aufnahmen.
Helmuth Baumann, pensionierter Apotheker aus Böblingen, und Siegfried Künkele, pensionierter Jurist aus Gerlingen, fördern mit ihren hervorragenden Kenntnissen seit Jahrzehnten die Weiterentwicklung des Forschungsstandes bezüglich europäisch-mediterraner Orchideen in enger Zusammenarbeit. Unter ihrer Leitung hat das Mitteilungsblatt des Arbeitskreises Heimische Orchideen Baden-Württemberg (AHO) einen wissenschaftlich anerkannten Stellenwert erhalten. Ferner obliegt den beiden auch das Management der europäisch-mediterranen Orchideenkartierung.
Karl Peter Buttler ist als Botaniker und Gutachter im Naturschutz sowie in der Landschaftsplanung in Frankfurt am Main tätig. Von ihm stammt der 1986 beispielhaft abgefasste Führer "Orchideen". Für alle, die sich ernsthaft mit dieser Materie befassen, ist dieses Buch zum Standard-Überblickswerk geworden.
Eckhard Willing, Bergbau-Ingenieur beim Umweltbundesamt in Berlin, und seine Gemahlin, Barbara Willing, sammeln, registrieren und beurteilen sämtliche Literaturtitel betreffend europäisch-mediterrane Orchideen. Ihre publizierten Rezensionen stellen sie den Interessenten regelmässig zur Verfügung. Ausserdem erforschen und kartieren sie leidenschaftlich Orchideen des griechischen Festlandes.
Hannes F. Paulus, Zoologieprofessor an der Universität Wien, und Claudia Gack, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zoologischen Institut der Universität Freiburg im Breisgau, untersuchen systematisch die Wechselwirkung zwischen Ophrys-Arten und deren Bestäubern. Es ist ihnen bereits gelungen, für viele Ophrys-Sippen die entsprechenden Insekten nachzuweisen. Diese Entdeckungen haben sie schon oft zu neuen Abgrenzungen und Umschreibungen von Ragwurz-Arten bewogen.
Herwig Teppner, Botanikprofessor der Universität Graz, hat sich orchideenmässig auf die Gattung Nigritella (Männertreu) spezialisiert und sich mit Entdeckungen und Beschreibungen weiterer Arten dieser alpin und subalpin auftretenden Orchideengattung einen Namen gemacht.
In der ehemaligen DDR sind in den letzen Jahren einige Arbeitskreise zur Beobachtung und zum Schutze einheimischer Orchideen entstanden. In Obhut von Horst Kümpel, Verantwortlicher dieser Gruppen ostdeutscher Orchideologen, sind die ökologischen Ansprüche der dort vorkommenden Orchideen unter die Lupe genommen, ideale Pflegemassnahmen erarbeitet und umgesetzt worden.
Dieses Vorgehen ist mit der Taktik der Arbeitsgruppe Einheimische Orchideen Aargau (AGEO) vergleichbar.
Der niederländische pensionierte Naturforscher und Maler Jacobus Landwehr hat sich lebenslänglich um die Orchideen gekümmert. Sein zweibändiges Prachtswerk "Wilde orchideeën van Europa", das in holländischer und französischer Sprache existiert, besticht durch seine präzisen und künstlerisch hoch stehenden Aquarelle von europäisch-mediterranen Orchideenarten.
Bertil Kullenberg, Professor für Entomologie (Insektenforschung) an der Universität Uppsala und Leiter der Ökologischen Forschungsstation Skogsby auf der Insel Öland (Schweden), hat ab den Sechzigerjahren bahnbrechende Forschungsergebnisse betreffend Ophrys-Bestäuber sowie Sexualduftstoff-Chemie und Oberflächenstrukturen von Ophrys-Blüten erzielt. Diese schriftlich festgehaltenen Resultate dienen als Grundlagen für zukünftige Studien über Ophrys-Bestäubung.
Im französischen Sprachgebiet erbringen vor allem die drei belgischen Orchideologen Pierre Delforge, Jean-Louis Gathoye und Daniel Tyteca laufend neue hochkarätige Forschungsergebnisse über mitteleuropäische Orchideen. Dieses Trio hat auch diesbezüglich die wertvollen Erkenntnisse der beiden Schweizer Orchideenspezialisten Peter Gölz und Hans R. Reinhard aufgenommen und weiterentwickelt.
Von Pierre Delforge stammt übrigens mein derzeitiges Lieblingsnachschlagewerk "Guide des Orchidées d'Europe, d'Afrique du Nord et du Proche-Orient". Diese topaktuelle und gut verständliche Fachliteratur beinhaltet 812 beschriftete makellose Farbfotos von fast 400 Orchideenarten mit Bestimmungsschlüsseln, Varietäten und Hybriden. Das brillante Buch ist in französischer und englischer Sprache erhältlich.
Im italienischen Sprachraum sind unter anderem die Orchideologen Carlo Del Prete, Walter Rossi und Antonio Scrugli mit umfassenden Studien beschäftigt. Ihre bisherigen Erfolge sind in zahlreichen Publikationen festgehalten.

Schlussfolgerung

Diese Übersicht über die erfolgreichsten Orchideenbotaniker aller Zeiten veranschaulicht, dass sich der westliche Teil Europas in den letzten 200 Jahren fortwährend zum Mekka der Orchideologie entpuppt hat.
Soweit zur Geschichte der Orchideenbotanik. In einem weiteren Bericht folgen die Kapitel zu den Themen "Orchideenhybriden", "Orchideen als Sexualtäuschblumen" sowie die Angaben zur verwendeten Literatur.
 

 

Internetadressen

Die Abbildungen von Charles Darwin, Carl von Linné und Heinrich Gustav Reichenbach sind den folgenden Internetadressen entnommen :
 
www2.lucidcafe.com/lucidcafe/library/96feb/darwin.htm
www.biologie.uni-hamburg.de/b-online/d01/linne.htm
www.orchideen.at/Aus_OK/Reichenbach.htm

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Aktualisiert 02. 03. 2009

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