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Die Gattung Nigritella Rich

Autor, Zeichnungen und Fotos: Jean-Pierre J. Brütsch

Die bei uns als Männertreu bezeichnete Orchidee gehört fast zu jeder Alpenwanderung. Meistens trifft man sie so häufig, dass man sie kaum mehr beachtet. Die Arten waren früher recht einfach zu bestimmen. Es gab ein schwarzes, Nigritella nigra und im östlichen Teil unserer Alpen auch noch ein rotes Männertreu, Nigritella rubra. An der roten Blütenfarbe und der früheren Blütezeit ist letzteres leicht zu erkennen. In den letzten Jahren haben sich einige Umwälzungen und Erweiterungen ergeben.
Zur Gattung Nigritella (Orchidaceae) gehören ausschliesslich Pflanzen, die in den europäischen Gebirgszügen verbreitet sind, von Norwegen bis Nordspanien, von den Karpaten bis in die Abruzzen oder bis ins nördliche Zentralgriechenland. Typisch für die Gattung sind 5-20 (-30) cm hohe Pflanzen, mit zahlreichen rosettenartig gehäuften, schmal-lineal bis lineal-lanzettlichen, rinnigen Blättern. Die nicht resupinierten (gedrehten) Blüten sind trichterförmig, klein, mit ungeteilter, nach oben gerichteter Lippe, in dichtem, fast kugeligem bis kegelförmigem Blütenstand, nach Vanille duftend. Die Pflanzen gedeihen in Magerrasen von 1000-2700 m ü. M. und blühen von Mitte Juni bis Mitte August.

Zur Geschichte der Nigritella - Arten

Die kleine, wohlriechende Pflanze nannte Conrad Gesner 1561 Satyrium basilicum alpinum. Linné taufte sie 1753 Satyrium nigrum. Die heutige Bezeichnung geht auf Reichenbach zurück, der ihr 1851 den Namen Nigritella nigra gab. Neben dem schwarzen Männertreu fand Wettstein (1889) auch ein rot blühendes und nannte es Gymnadenia rubra. Danach blieb es über Jahrzehnte taxonomisch ruhig, bis vor einigen Jahren durch Ravnik (1978), Teppner & Klein (1985 - 1998), Gölz & Reinhard (1986), Breiner (1993), Teppner et al. (1994), Teppner & Ster (1996), Foelsche & Gerbaud (ab 1998 bis heute) eine grosse Zahl von neuen Arten und Unterarten beschrieben wurden. Heute sind 19 Arten und Unterarten gültig beschrieben.

Der Formenkreis N. nigra, rhellicani und austriaca

Nigritella nigra oder Nigritella rhellicani?

Teppner & Klein (1990) haben festgestellt, dass die alpinen Pflanzen durch ovalen Blütenstand, kleinere Blüten und buchtig gezähnte Brakteenränder merklich von den von Linné beschriebenen skandinavischen Pflanzen abweichen. Jeder wissenschaftliche Name aber bezieht sich auf ein ganz bestimmtes Individuum, auf den sogenannten Holotyp. Wenn dieser nun eine in Schweden vorkommende Pflanze ist, müssen die abweichenden Pflanzen unserer Region umbenannt werden. So tauften Teppner & Klein (1990) die bei uns heimische Art N. rhellicani, zu Ehren von Johann Müller aus Rellikon am Greifensee, genannt Rhellicanus, der als Erster die Pflanze 1536 in einem Gedicht über eine Wanderung auf das Stockhorn als Christi manus erwähnt.

Nigritella rhellicani oder Nigritella austriaca?

Teppner & Klein beschrieben 1990 auch eine Pflanze aus den österreichischen Alpen, die der schwedischen N. nigra eher glich als der N. rhellicani. Sie gaben ihr den Namen N. nigra subsp. austriaca. In den Pyrenäen und dem Massif Central wurden mit subsp. iberica Teppner & Klein und in den französischen Alpen mit subsp. gallica E. & R. Breiner ähnliche Pflanzen gefunden und beschrieben. P. Delforge bezeichnete die Unterarten jedoch als eigene Art N. austriaca (Delforge et al.). Klein & Drescher erklären subsp. gallica als fälschlich beschriebene Unterart und fassen diese mit subsp. iberica zur N. nigra subsp. austriaca zusammen. Teppner (Teppner & Klein) beharrt dagegen darauf, die Unterarten zu unterscheiden, da subsp. iberica trotz erheblicher Überschneidungen die grösseren Werte der mess-baren Blütenmerkmale erreicht.

 

Nigritella austriaca

Nigritella rhellicani

Blütenstand

Im Aufblühen flach, später halbkugelig, immer breiter als hoch

Im Aufblühen dreieckig spitz, später kugelig bis oval, meist höher als breit

Blütengrösse

Blüten gross,
Lippenlänge (ohne Sporn)
      (6.8-)7.5-9.9 mm,
Länge seitliche Sepalen
       6.9-8.5(-9.5) mm,
mittleres Sepalum
       6.3-8.4 mm,
Länge Petalen
       5.8-7.5(-8.2) mm

Blüten klein,
Lippenlänge (ohne Sporn)
       (4.5-)5-7(-7.8) mm,
Länge seitl. Sepalen
       (4.5-)5.1-7.0(-7.5) mm,
mittleres Sepalum
       (4.1-)4.7-6.0(-6.2) mm, Länge Petalen
       (3.5-) 4.0-5.6 (-6.2) mm

Spornlänge

       0.9-1.4 mm

       (1.0-)1.1-1.5(-1.6) mm

Brakteen

Ränder glatt bis gewellt, selten wenige Papillen

Ränder ± buchtig gezähnt, zahlreiche Papillen Länge 0.05-0.1mm aus vorgewölb­ten Epidermiszellen

Blütezeit

gleichzeitig wie rubra

8–10 Tage nach austriaca

Chromosomen

2n = 4x = 80

2n = 2x = 40

Fortpflanzung

asexuell, apomiktisch

sexuell

Böden

nur auf Kalk

auf Kalk und Silikat,
ph 4.5–7.5

Verbreitung

Alpen, Jura,
Massif Central, Pyrenäen

Alpen, Jura, Balkan


Tabelle 1:
Zusammenstellung der Unterscheidungsmerkmale von N. austriaca (N. nigra subsp. austriaca und subsp. iberica) und N. rhellicani Teppner & Klein (Timpe & Mrkvicka, Klein & Drescher) (siehe auch Abb. 1).

 

Das eindeutigste Merkmal zur Unterscheidung der Arten ist die Gestaltung des Brakteenrandes, was den Gebrauch einer 20 bis 30-fachen Lupe erfordert. Die genannten Unterschiede dürften eine Trennung der Arten rechtfertigen.

Unterschiede Nigritella-Arten, Zeichnung Jean-Pierre J. Brütsch Abb. 1: Unterscheidungsmerkmale der in der Schweiz vorkommenden Nigritella-Arten. Unterschiede Nigritella-Arten, Zeichnung Jean-Pierre J. Brütsch Abb. 2: Lippenformen verschiedener Nigritella-Arten, konstruiert aus den Stichproben-Mittelwerten. Nach Vorlagen von Gölz & Reinhard und Delforge. Massstab wie Abb. 1, Lippe

Die Arten der Gattung Nigritella

Die Gattung Nigritella umfasst Arten mit sexueller und mit apomiktischer Vermehrung. Bei letzteren ist umstritten, ob solche Arten biologisch als eigene Arten gelten dürfen. Typologisch kann dies aber sicher angenommen werden (vgl. Abb. 1 und 2).

Arten mit sexueller Fortpflanzung

Diese Arten bilden Samen nach Bestäubung durch Insekten. Der Chromosomensatz beträgt einheitlich 2n = 40 (diploid).


Nigritella rhellicani, Foto Jean-Pierre J. Brütsch Nigritella rhellicani Farbvarianten N. rhellicani Teppner & Klein: Gesamte Alpen, 1300-2700 m. In sonnigen, trockenen, nährstoffarmen Wiesen, Zwergstrauch-heiden, auf Kalk und Silikat. Blütezeit ca. 2 Wochen nach rubra und austriaca.
Diese Art weist viele Farbabweichungen auf. Die Literatur kennt 10 Varianten: lus. sulphurea Keller (Blüten schwefelgelb) / lus. flava Jaccard (leuchtend hellgelb) / lus. rosea Goiran (rosa bis rot) / lus. flavo-rosea Keller (blassgelb, rot berandet) / lus. subcarnea Camus (hellorange) / lus. fulva Keller (dunkelgelbrot bis rotgelb, ziegelrot) / lus. alba Harz (reinweiss) / lus. pallida Keller (weiss mit roten Spitzen bzw. Rand) / lus. ustulata Keller (Blüten weiss, an der Ährenspitze dunkelbraun) / lus. variegata Vollmann (Blüten weiss und rot) (Klein).

N. corneliana (Beauverd) Gölz & Reinhard, Cornelias Kohl-röschen: Westalpen (Seealpen, Cottische und Grajische Alpen), (1800-)2200-2500 m. Nur über Kalk. Kugeliger bis verlängerter Blütenstand mit teilweise intensiv gefärbten Blüten, innen hell, nach aussen rosa. Knospen intensiver gefärbt. Hochblüte ca. 2 Wochen vor rhellicani. Farbvarietäten sind beschrieben als var. bourneriasii (E. & R. Breiner) Klein (einheitlich rot) und als Gymnadenia corneliana Teppner & Klein var. vesubiana G. & W. Fœlsche (N. rubra var. corneliana Soo lus. vesubiana G. Keller) (weiss mit rötlichen Knospen).

(ohne Bild) N. carpatica Teppner, Klein & Zagulskij: Reliktendemit der Ostkarpaten (ukrainisch-rumänisches Grenzgebiet), 1000-1800 m. In montanen Rasen. Schmale Blätter. Kleine hellrosa bis weisslich werdende Blüten, Lippe 4.5-6 mm.

Nigritella corneliana, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. corneliana Nigritella cenisia, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. cenisia Foelsche & Gerbaud: Südwestalpen, Savoyen (Col du Galibier bis Col du Petit Saint Bernard) und italienische Westalpen, 2100-2600 m. Auf feuchten, tiefgründigen Böden und alpinen Trockenrasen, in voller Sonne, auf Kalk und Kalkschiefer (pH 6.0-6.8). Blütenstand viel grösser als bei rhellicani, Blüte rot bis dunkelrot. Blütezeit später als rhellicani (späteste Art). Nigritella gabasiana, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. gabasiana Teppner & Klein: Pyrenäen und Cantabrisches Gebirge, 1500-2400 m. In Rasen mit Carex sempervirens, Zwerg-strauchheiden. Blüten dunkelbraunrot, mit zusammengezogener Lippe, schwacher Duft. Nigritella lithopolitanica, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. lithopolitanica Ravnik, Steineralpen-Kohlröschen: Südost-alpen (Hochobir, Koralpe), Slowenien (Steiner Alpen), 1700-2300 m. Im Seslerio-Semperviretum, nur auf Kalk. Blütenstand kugelig (nicht verlängert), Blüte rosa (ähnlich corneliana) bis rosalila (mit schwachem «Blaustich»). Blüht vor rhellicani.

Arten mit Fortpflanzung durch Apomixis

Die asexuelle Fortpflanzung durch Samen, unter Umgehung der Zellverschmelzung, wird als Apomixis bezeichnet. Alle Nach-kommen eines Individuums besitzen dasselbe Erbgut und bilden keine Farbabweichungen. Hybriden sind selten aber möglich, da deren Blüten auch Pollinien ausbilden können.


N. nigra (L.) Reichenbach fil., Schwarzes Kohlröschen /Männertreu: Nur Skandinavien (Mittel-Schweden, angrenzendes Norwegen, kleines Areal bei Tromsø in N-Norwegen). Nur auf Kalk. 2n = 60 (triploid).
N. austriaca (Teppner & Klein) Delforge, Österreichisches Kohlröschen (Zusammenfassung der Unterarten subsp. austriaca Teppner & Klein, subsp. iberica Teppner & Klein: Ost- & West-alpen, Jura, Massif Central, Pyrenäen. Nur auf Kalk. Blütezeit mit rubra. 2n = 80 (tetraploid).
N. rubra (Wettstein) K. Richter, (Synonym: N. miniata (Crantz) Janchen), Rotes Kohlröschen / Männertreu: Östliche Alpen (östlich Lukmanier/Klausenpass), 1000(!)-2600 m. In (feuchten) Wiesen, an frischen grasigen Stellen im Seslerio-Semperviretum, auf Kalk- und Dolomitböden, basenreich (pH 5.5-8). Blütenstand eiförmig bis zylindrisch. Blüten leuchtend rubinrot, Lippe stark sattelförmig eingeschnürt. 2n = 80 (tetraploid) (für Bilder vgl. Artikel Mitteilungsheft 1/2011).
N. bicolor W. Foelsche, Zweifarbiges Kohlröschen: Italien, Slowenien, Ostalpen und Schweiz (Verbreitung noch nicht abschliessend geklärt). Vorkommen ähnlich N. rubra, aber Blüten-farbe dunkel-rosarot und an der Basis deutlich aufgehellt (N. rubra einfarbig leuchtend rubinrot), Blütezeit zwischen N. rubra und rhellicani. Ob sich die Trennung von N. rubra zu N. bicolor tatsächlich begründen lässt, ist noch sehr umstritten und bedarf weiterer Untersuchungen.
Nigritella widderi, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. widderi Teppner & Klein, Widders Kohlröschen: Tirol bis Bayern, Grazer Bergland (Teichalm), Alpenostrand (Schneeberg), Abruzzen, 1700-2100 m, im Seslerio-Semperviretum. Blütenstand dicht, kugelig bis eiförmig, unten weisslich bis rosa, obere Knospen dunkler rosa, Lippe an der Basis bauchig erweitert, 2n = 80 (tetraploid). Nigritella stiriaca, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. stiriaca (K. Rechinger) Teppner & Klein, Steirisches Kohl-röschen: Kalkalpen Salzburgs (Schafberg, Sarstein) und Grazer Bergland (Teichalm), 1700-2100 m. Im Seslerio-Semperviretum. Blütenstand zylindrisch, deutlich länger als breit. Blüten mit dunkel-(lila-)roter Basis, nach aussen bis zur (fast) weissen Spitze immer heller. 2n = 80 (tetraploid). Nigritella archiducis-joannis, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. archiducis-joannis Teppner & Klein, Erzherzog-Johann-Kohlröschen: Lokalendemit in der Steiermark (Tauplitzalm, Eisen-erzer Alpen), nur an wenigen Fundorten in Kleinstpopulationen. Im Seslerio-Semperviretum. Blütenstand kugelig. Blüten einheit-lich lachsrosa bis fleischfarben, sie öffnen sich kaum. Blütezeit wie rhellicani. 2n = 80 (tetraploid). Nigritella buschmanniae, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. buschmanniae Teppner & Ster, Buschmanns Kohl­röschen: Brentagruppe bei Madonna di Campiglio (le Crosette), 2200-2400 m, ev. auch tiefer. In mässig tiefgründigen Rasen mit Sesleria varia und Carex sempervirens, auf Dolomit. Blüten anfänglich intensiv rot bis rosa, im Laufe der Blütezeit heller (weisslich) werdend, mit mehr oder weniger zusammengezogener Lippe. Fruchtstand kaum verlängert. 2n = 100 (pentaploid). Nigritella dolomitensis, Foto Jean-Pierre J. Brütsch N. dolomitensis (Teppner & Klein) Hedren, E. Klein & Teppner: Östliche Dolomiten (Passo di Limo, Pustertal bei Bruneck, Fanes-Alpe), 2100-2500 m. In flachgründigen Blaugras-Horstseggen-Halden. Spitzenständige Blüten mit durchgehend weit offener Lippe, Lippenbasis nur um 2 mm. Fruchtstand gegenüber Blüten-stand deutlich verlängert. 2n = 80 (tetraploid). (ohne Bild) N. minor W. Foelsche & Zernig, Kleines Kohlröschen: Steier-mark (Hochschwab-Gruppe), 1700-1900 m. In alpinen, tief-gründigen Kalkmagerrasen, Blüten ähnlich N. rubra, aber sehr viel kleiner (6.0-8.6 mm lang), einfarbig rosarot, Blütenstand klein, schlank, kugelig bis oval. 2n = 80 (tetraploid).

(ohne Bild) Gymnigritella runei Teppner & Klein: Provinz Västerbotten, Schwedisch Lappland. Nigritella-Habitus mit weit offener Lippe. Blüten bordeauxrot mit 2 mm langem Sporn. 2n = 80 (tetraploid). Enthält drei Genome von N. nigra und ein Genom von Gymnadenia conopsea und nimmt eine Sonderstellung ein (für Bilder vgl. Artikel Mitteilungsheft 4/2008).

Nigritella im Gebiet der Schweiz

N. rhellicani kommt im gesamten Alpenraum und im Jura vor (Reinhard et al.). Es gibt auch Fundmeldungen von Farb-varietäten (vor allem aus dem Wallis, Val d’Anniviers). Sie sind allerdings eher selten.
N. austriaca (N. nigra subsp. iberica) wurde im westlichen Jura, im Gebiet des Doubs (Mont-d’Or-Longevilles, ca. 1440 m; Chaux-Neuve, Le Cernois, ca. 1100 m) und am Chasseron gefunden (Andre & Moingeon, Delforge & Gerbaud). Neuere Fund-meldungen aus dem Unterwallis lassen vermuten, dass diese Pflanzen auch im schweizerischen Alpenraum vorkommt. Interessant sind vor allem die Funde am Mont d’Or und am Chasseron, wo Mitte bis Ende Juni sowohl N. austriaca in Hochblüte, als auch die erst knospigen N. rhellicani gefunden werden können. Die Arten lassen sich dort nacheinander gut vergleichen, wobei N. rhellicani höhere Lagen bevorzugt.
N. rubra ist mit wenigen Ausnahmen, nur östlich der Linie Lukmanier-Klausenpass bekannt. Es gibt jedoch Vorkommen aus den Waadtländer Alpen (Videmanette ob Rougemont) und Fundmeldungen aus den Berner Alpen.
Ungeklärt sind Funde im Gebiet der Bernina-Passhöhe, die bisher als Hybriden von N. rhellicani mit rubra angesprochen wurden und vielleicht als separate Art aufzufassen sind.
Es gab auch schon Fundmeldungen, die vermuten liessen, dass N. widderi im Gebiet der Schweiz vorkommen könnte. Beweisen liess sich das aber bisher noch nie.

Die schweizerischen Dialekt-Namen für Nigritella

Der Name „Männertreu“ hat gar nichts mit mehr oder weniger treuen Männern zu tun, sondern ist ein Hinweis auf seine mögliche aphrodisierende Wirkung. Der ganze Satz würde lauten: “Den schwachen Männern treu.“ An Dialektnamen für diese Pflanze herrscht kein Mangel. Von seiner Blütenfarbe her gibt es Namen wie „Blutströpfli“ (Grindelwald), „Kuhbrändli“ oder „Schaf-brendli“, bezogen auf seinen Duft „Schoggoladeblüemli“ (Appen-zell), erotische Namen wie „Wyberlist“ (Bern), seine Verwendung wie „Schabenägele“ (St. Gallen), seinen Standort „Chamm-blüemli“ (Glarus), oder wegen seiner Unbeliebheit bei den Sennen  als „ChäsBläjerli“ (Simmental) verschrien, weil sie befürchten, dass der Käse sich aufblähe, wenn die Kühe zuviele dieser Pflanzen gefressen hätten. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Sie zeigt den Bekanntheitsgrad und die Popularität dieser so einzigartigen Orchidee.

Gymnadenia und Nigritella – nur eine Gattung?

1997 haben Pridgeon et al. und Bateman et al. die Sequenzen der ITS Region der nrDNA zweier Gymnadenia-Taxa und einer Nigritella-Art untersucht und erneut eine Diskussion zum Verwandtschaftsverhältnis dieser beiden Gattungen ausgelöst. Teppner & Klein haben 1998 die Arten der Gattung Nigritella bereits in die Gattung Gymnadenia einbezogen. Sie geben aber zu, dass sie (Zit.) «…nur schwer ertragen würden, wenn die dafür nötigen Umkombinationen von Personen, die ansonsten keinerlei Beitrag zum Lösen des Nigritella-Problems erbracht haben, durchgeführt würden». Die daraus folgenden neuen Namen (alle Teppner & Klein) sind in Tab. 2 zusammengestellt. In einer Randnotiz, schreibt Teppner etwas später, dass Nigritella und Gymnadenia einen gemeinsamen Vorläufer gehabt haben müssten.
Über den Sinn oder Unsinn des Einbezuges von Nigritella in Gymnadenia lässt sich streiten, hatte doch schon Wettstein 1889 diese Gattungen vereinigt. Sie unterscheiden sich durch wenige, taxonomisch wichtige Merkmale. Nigritella besitzt einen vergleichsweise niedrigen Wuchs, einen kurz-gedrungenen Blütenstand mit nicht resupinierten Blüten. Dies veranlasste Ascherson & Graebner, die Gattungen Nigritella und Gymnadenia zu trennen. Sundermann dagegen begründet die Zusammenfassung damit, dass zwischen beiden recht häufig Bastarde auftreten. Letzteres spricht zwar für die enge Verwandt-schaft dieser Gattungen, ergibt sich aber schon allein dadurch, dass sie im gesamten alpinen Bereich oft in ungewöhnlich grosser Zahl zusammen vorkommen. So sind Hybriden nicht gerade selten, jedoch immer als isolierte Einzelerscheinungen zu werten. Stabilisierte Hybridpopulationen sind bisher keine bekannt geworden. Unter natürlichen Bedingungen sind Gymnigritellen nicht zur Rückkreuzung und Fortpflanzung befähigt. Meines Erachtens sollte deshalb die heutige Aufteilung beibehalten werden, nicht zuletzt, weil Nigritella und Gymnadenia immer gut zu unterscheiden sind.

Tabelle 2: Neukombinationen unter Gymnadenia.
Arten mit sexueller Fortpflanzung (diploid)
Gymnadenia rhellicani, Gymnadenia corneliana, Gymnadenia cenisia, Gymnadenia gabasiana, Gymnadenia lithopolitanica, Gymnadenia carpatica
Arten mit asexueller (apomiktischer) Fortpflanzung (polyploid)
Gymnadenia nigra subsp. nigra, Gymnadenia nigra subsp. austriaca (DELFORGE (1998) beharrt auf der Umkombination von G. nigra subsp. austriaca zu Gymnadenia austriaca Delforge), Gymnadenia nigra subsp. iberica, Gymnadenia miniata (der Artname miniata stammt von Crantz 1769 und hätte als älterer Name Vorrang vor dem Namen rubra (K. Richter 1890)), Gymnadenia widderi, Gymnadenia buschmanniae, Gymnadenia stiriaca, Gymnadenia dolomitensis, Gymnadenia archiducis-joannis, Gymnadenia runei

Dank

Mein Dank gilt Herrn R. Peter, Olten, für seine Unterstützung beim Verfassen des Textes, sowie den Herren W. Schmid, Uster, V. & Ch. Boillat, Delémont, R. Irniger, Zürich, P. Schardt, Emmen, U. Senn, Schiers, für die Unterstützung und Begleitung.
Alle Fotografien und Zeichnungen stammen vom Verfasser.
Anmerkung der Redaktion:
Weitere Artikel und Bilder zur Gattung Nigritella finden sich in den AGEO-Heften 1/2011 N. bicolor, 4/2008 N. runei, 4/1998 N. austriaca und 1/1993 N. corneliana.


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Aktualisiert 01. 12. 2011

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