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Orchideen in und um Thun

Autor und Fotos: Hanspeter Schlatter


Einleitung

Bleiche Waldvögelein mitten in der Stadt, Foto Hanspeter SchlatterSeit Frühjahr 2008 wohne ich in Thun, und seither durchforste ich, unterstützt durch meine Frau, die nähere und weitere Umgebung nach Orchideen. Schon vorher im Berner Seeland, in Lyss, gabs überraschende Sachen: So das Grosse Zweiblatt am Friedhof­rand, das Bleiche Waldvögelein beim Soldatendenkmal wenig oberhalb des Friedhofs oder das Grüppchen Helmknabenkräuter am Bahndamm in Nähe des Bahnhofes Lyss gegen Busswil. Die grösste Trouvaille war aber wohl der Neufund einer stattlichen Bocksriemenzunge durch meine Frau im Jahr 2007 an der alten Strasse zwischen Lyss und Aarberg – sie fand diese zufällig beim Joggen!
Ebenso erfreulich und überraschend waren diese ersten Jahre in Thun. Darüber möchte ich hier berichten. Für die Pflanzennamen halte ich mich an B. Wartmann [2], und ich verwende vorwiegend die deutschen Namen. Am Schluss finden sich alle gefundenen Arten zusam­mengefasst in einer Tabelle. Einen Teil der Koordinaten habe ich von Ruedi Irniger aus der AGEO-Datenbank gekriegt und die Standorte mit Erfolg abgesucht; ihm möchte ich an dieser Stelle herzlich für seine immense Unterstützung danken. Einen anderen Teil haben wir selber gefunden und so die Datenbank unsererseits erweitern können.

Besiedeltes Stadtgebiet (3 Arten)

Bleiche Waldvögelein mitten in der Stadt, Detailbild, Foto Hanspeter SchlatterDie überraschensten Funde waren jene im besiedelten Gebiet, und zwar das Bleiche Waldvögelein, das 2009 und auch 2010 – nun in 2 Exemplaren – in einem Vorgarten nahe beim Coop Strättligen blühte (Abbildungen 1 bis 2, Seite 25), sowie die über hundert Breitblättrigen und Braunroten Stendelwurze auf der Aare-Insel im Schwimmbad „Schwäbis“, ebenfalls inmitten des überbauten Stadtgebietes – und alle 3 Arten ebenfalls durch meine Frau ent­deckt beim Joggen resp. Schwimmen.

Weiteres Gemeindegebiet und Grenzgebiete der Nachbar­gemeinden (weitere 6 Arten)

Das Gebiet mit der grössten Artenvielfalt ist der von der Autobahn nach Spiez in zwei Hälften geteilte Burgerwald und das Glütsch­bachtal, durch das früher, vor dem Kanderdurchstich von 1714, die Kander floss. Die südliche Gemeindegrenze von Thun läuft über eine längere Distanz dem Glütschbach entlang – manchmal etwas links, manchmal etwas rechts. Einige Fundorte sind streng genommen nicht auf Thuner Gebiet. Häufigste Art ist bei weitem die Breitblättrige Stendelwurz. Im Weiteren haben wir gefunden: alle drei Waldvögeleinarten (das Bleiche Waldvögelein an mehreren Stand­orten), Zweiblättrige Waldhyazinthe und Vogelnestwurz (jeweils an mehreren Standorten), und schliesslich je ein Standort mit Grossem Zweiblatt und Fuchs-Fingerwurz.


Zu einem Fund möchte ich etwas ausholen.

Haslimoos 30.6.2009: Standort mit Ep. helleborine (Kopf noch gekrümmt, links) und 0.8 m rechts davon die aufrechte und aufblühende unklare Art.

2 Ständelwurz-Pflanzen, Epipactis helleborine und ein fragliche Art, Foto Hanspeter Schlatter

Die Ep. helleborine hat den Blüten­stand noch stark geneigt.

Die unklare Art ist aufrecht und hat die unteren Blüten offen. Man beachte die löffelförmigen, aufwärts stehenden Blätter.


Epipactis helleborine var. orbicularis oder Epipactis distans – die Rundblättrige Varietät der Breitblättrigen Stendelwurz oder die Langgliedrige Stendelwurz, das ist hier der Knackpunkt des bisher von mir noch nicht eindeutig geklärten Fundes.
Im Juli 2008 fand ich im Haslimoos rund 80 cm neben einigen aufblühenden Breitblättrigen Stendelwurzen eine bereits verblühte stattliche Stendelwurz (Abbildung 3-5, Seite 26). Sie war also 2 bis 3 Wochen früher als alle anderen am Blühen. Aufgrund der löffelförmigen und steil aufwärts gerichteten kurzen Blätter dachte ich sofort an Epipactis distans. Die Tatsachen, dass keine 20 Kilometer nördlich bei Linden auf Gemeindegebiet Oberhünigen in den Jahren 2002 und 2006 von Gisela und Hubert Heitz ebenfalls eine Langgliedrige Stendelwurz auf immerhin 1150 m.ü.M gefunden wurde, und dass es sich beim Fundort bei Thun um einen südexponierten, eher trockenen Standort handelte, sprachen ebenfalls dafür.
Nachdem ich den Standort bei Linden 2008 vergeblich abgesucht hatte, bin ich im vergangenen Sommer 2010 fündig geworden: Auf genau der angegebenen Koordinate fand ich eine Pflanze, aller­dings etwas „verhudlet“ und ohne Blüten. Aber ein paar hundert Meter weiter südöstlich und ca. 100 Höhenmeter tiefer fand ich an einem steilen südexponierten Strassenbord 5 blühende Pflanzen, nach meinem Dafürhalten eindeutige Epipactis distans – alle mit den gleichen Blättern wie die Stendelwurz bei Thun. Nun war ich mir immer sicherer, obwohl einige Bekannte, denen ich die Fotos zeigte, unschlüssig blieben und eher auf „Ep. helleborine var. orbicularis“ tippten. Hinzukommt, dass die Fachliteratur in diesem Fall auch nicht eindeutig ist. In Literatur [1] ist Epipactis distans noch nicht erwähnt lediglich Ep. helleborine var. orbicularis, nach [2] und [4] handelt es sich um Synonyme für die gleiche Pflanze nur in [7] werden Epipactis distans und Epicatis helleborine var. orbicularis unterschieden (letztere als Varietät und nicht als Sub­spezies). Auch die Fachartikel in [5] und [6] halfen mir nicht weiter.
Leider blühte im Sommer 2010 im Haslimoos bei Thun nur die eindeutige Breitblättrige Stendelwurz (gleicher Standort wie Abbil­dung 3), wiederum (zum dritten Mal nun in Folge) ein grosses Ex­emplar; die nicht eindeutige Pflanze erschien nicht; war’s wegen des nasskalten Mai? Nur die verholzte letztjährige war noch am Boden erkennbar.
Ich freue mich schon auf den kommenden Sommer, um die Pflanze wieder zu suchen; hoffentlich findet sich jemand, der sie eindeutig bestimmen kann.
Weiterer Umkreis bis 10 km (bis 12 km), Nachbargemeinden (weitere 15 Arten)
Im nahen Umkreis (wenige km) haben wir mehrere Stellen mit Roten Waldvögelein, Braunroter Stendelwurz und Grossem Zwei­blatt gefunden, auch einen schönen Standort mit vielen Fleisch­roten Fingerwurzen.
Im weiteren Umkreis bis 10 km vergrössert sich die Artenliste um: Frauenschuh, Helmknabenkraut, Lappländische und Breitblättrige Fingerwurz, Mannsknabenkraut, Kleinblättrige und Müllers Stän­delwurz, und wenn wir noch ein klein bisschen dazugeben – bis 12 km – kommen dazu: Kleines Zweiblatt, Korallenwurz, Schwar­zes Männertreu, Weissliche Höswurz, Netzblatt, Hohlzunge und Mückenhandwurz.

Weitere Arten

Innerhalb des Gemeindegebietes sollten die Herbstdrehwurz auf der Thuner Allmend (vor wenigen Jahren noch nachgewiesen) und entlang des Sees gegen Spiez das Sumpfknabenkraut, das ich vor wenigen Jahren bei Erlach zu Tausenden an ähnlichem Standort gesehen habe, blühen. Diese letzte Angabe entnahm ich der Naturschutztafel in Gwatt – in der AGEO-Datenbank ist kein Eintrag zu finden. Das Biotop am See lässt das zwar als möglich erscheinen, vielleicht lassen sich auch weitere Quellen finden. (Anmerkung Redaktion/W. Schmid: Es muss davon ausgegangen werden, dass die Angabe von Orchis palustris für dieses Biotop falsch ist. Unter Umständen wurde eine andere dort blühende Art falsch ausgewiesen.)
Funde von Kugelorchis, Wohlriechender Handwurz und eventuell weiterer Fingerwurze sollten im erweiterten Umkreis wohl eben­falls möglich sein, ebenso die Grünliche Waldhyazinthe. Und wenn man das Ufergebiet bei Interlaken sowie den Belpberg da­zunimmt, sollten auch ganz selten gewordene Arten wie der Widerbart, die Honigorchis oder das Torf-Glanzkraut zur Liste hin­zukommen. Wann werde ich wohl die ersten Ragwurze finden?

Fazit

Die Umgebung von Thun hat sich als ausserordentlich spannen­des Orchideengebiet entpuppt, auch wenn durch die Autobahn und die übrige Bautätigkeit insbesondere den Ufern entlang und in den warmen Südhängen sicher manches Biotop für immer zerstört worden ist. Rund ein Drittel aller einheimischen Orchideenarten habe ich in den letzten 3 Jahren in einem Umkreis von 12 km Radius gefunden. Es macht grosse Freude, weitere Wälder und Bergmatten

Gesamtliste Thun und Umgebung

In der folgenden Liste sind alle Orchideen aufgeführt, die meine Frau und ich persönlich gefunden haben, sortiert nach dem Ab­stand zum Bahnhof Thun.

 

 

Distanz in km zum …

Art

Ort

Bahn­hof

Meisen­weg

Breitblättrige Stendelwurz

Schwäbis Bad

0.86

2.12

Braunrote Stendelwurz

Schwäbis Bad

0.86

2.12

Bleiches Waldvögelein

Stadt; Strättligen

1.65

0.18

Zweiblättrige Waldhyazinthe

Burgerwald

3.27

1.84

Rotes Waldvögelein

Haslimoos

3.87

2.53

Grosses Zweiblatt

Glütschbachtal

4.06

2.60

Nestwurz

Chandergrien

4.14

2.98

Fuchs-Fingerwurz

Glütschbachtal

4.15

2.59

Langblättriges Waldvögleien

östlich Strättligturm

4.72

3.48

Fleischrote Fingerwurz

Amsoldinger-See

5.46

3.99

Lappländische Fingerwurz

Rotache

6.31

7.87

Helmknabenkraut

Rotache

6.31

7.87

Breitblättrige Fingerwurz

Rotache

6.31

7.87

Frauenschuh

Rotache

6.33

7.89

Müllers Stendelwurz

östlich Sigriswil

9.45

9.55

Kleinblättrige Stendelwurz

Justistal

10.49

10.53

Kleines Zweiblatt

Justistal

10.99

11.14

Netzblatt

Brüntschwald / Niederhorn

11.01

11.14

Mannsknabenkraut

Langeneggrain

11.08

9.99

Korallenwurz

Niederhorn

11.60

11.63

Männertreu

Niederhorn

11.93

12.13

Weissliche Höswurz

Niederhorn

11.93

12.13

Hohlzunge

Niederhorn

11.93

12.13

Mückenhandwurz

Niederhorn

12.43

12.73

Spontaner Nachtrag 13. März 2011

Am 12.3.2011 war ich an der Rosetten-Exkursion in Densbüren - war supertoll!
Heute habe ich mich daher auf die Thuner Allmend aufgemacht, um das Gelernte anzuwenden.
Und siehe da! An beiden Koordinaten, die ich überprüfte, fand ich Rosetten (1 resp. 4) der Herbstdrehwurz! Dank eindeutigen und häufigen Wegerichen konnte ich sie gut als "Nichtwegeriche" ab­grenzen. Die Suche war anstrengend und erforderte Geduld. Und die Freude war entsprechend gross.

Literatur

[1] „Die Orchideen der Schweiz und angrenzender Gebiete“, H.R. Reinhard et al., Fotorotar AG, Druck + Verlag,1991
[2] „Die Orchideen der Schweiz“, B. Wartmann, Edition Sternen­vogel, 2006
[3]  AGEO-Datenbank, Ruedi Irniger
[4]  http://de.wikipedia.org/wiki/Kurzblättrige_Stendelwurz (siehe dort: „Nomenklatur“) AHO (Hrsg.) 2005: Die Orchideen Deutschlands.-Uhlstädt-Kirch­hasel S. 383
[5]  AGEO-Vereinsheft 1/2001, S. 13 ff, P. Veya/R.Wüest
[6]  AGEO-Vereinsheft 4/2001, S. 7 ff, R. Peter, Replik auf [5].
[7] „Orchids of Europe, North Africa and the Middle east“, Pierre Delforge 2006 3. Auflage S. 67 bzw. 85

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Aktualisiert 07. 04. 2011

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