2010 Jahr der Breitblättrigen Stendelwurz/Sitter/Sumpfwurz
Epipactis helleborine
(L.) Crantz
(Grüne Stendelwurz/Sumpfwurz ist irreführend, da heute darunter Epipactis phyllanthes zu verstehen ist.)
Fotos: Habitus Thomas Ulrich, Einzelblüte Fred Stadler † |
Synonyme: | Epipactis latifolia All. ;Helleborine latifolia Moench ;Serapias helleborine var. latifolia L. ;Epipactis viridans (Crantz) G.Beck |
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Etymologie: | Gr. helleboros : Bei Theophrast (Theophrastus) der Name für Germer (Veratrum) oder diesem ähnliche Pflanzen, deren Blätter denjenigen unserer Epipactis helleborine gleichen. Lat. latus: breit; lat. folium: Blatt; (latifolia, latifolius: breitblättrig) (lat. viridans: grün seiend / grün werdend) | |
Unterirdische Teile: | Rhizom vertikal oder schräg absteigend, mit Bündel dicker, bräunlich-gelber, unterschiedlich langer Nebenwurzeln. Bildet manchmal mehrere Blütentriebe aus. | |
Stängel u. Blätter: | Über dem Wurzelstock 2-4 ± bräunlich angehauchte, scheidenförmige Niederblätter, die untersten bei blühenden Pflanzen oft schon ± vertrocknet. Stängel rundlich, unten kahl, ab dem obersten Schuppenblatt grün, oberwärts fein weisslich-flaumig behaart. Pflanzen (20) 30-80 (-115) cm hoch; Laubblätter (4) 6-12, meist mehr im unteren Bereich verteilt, stark geadert, (hell-) mittel-dunkelgrün, breit-rundlich bis breit-eiförmig, seltener breit-elliptisch bis breit-lanzettlich, 6-17 cm lang (etwa wie zwei Internodien), in der Regel zugespitzt, nach oben kleiner werdend, die obersten tragblattartig. Blattstellung spiralig (wechselständig), Blätter horizontal abstehend bis etwas bogig abwärts gerichtet (spez. an dunklen Wuchsorten), oft aber auch schräg aufwärts orientiert. | |
Blütenstand: | Vor dem Aufblühen seitlich überhängend. Voll entwickelt bis 35 cm lang, ± einseitswendig (vermutlich standort- bzw. lichtbedingt), mit zahlreichen Blüten (6-70). Tragblätter abstehend, lanzettlich, oberseits ganz schwach behaart, die untersten die Blüten weit überragend. Blütenstängel mässig bis stark, Fruchtknoten samt Stiel nur schwach behaart, letzterer oft schmutzig violettrosa angehaucht. Verkehrt eiförmige Samenkapseln bei fruchtender Pflanze aussen meist mit vertrockneten Blütenresten. | |
Blüten: | Abstehend oder etwas hängend und mittels partieller Drehung des Fruchtknotenstieles den Insekten die Lippen als Landeplatz darbietend. Blüten ansehnlich, mittel- gross (-1.8 cm), spornlos. Grundfarbe meist grünlich, oft braunrot bis violettpurpur überlaufen, im Knospenzustand nickend. Blütenblätter ± eiförmig, nach aussen spitz auslaufend, mehrheitlich weit abstehend, seltener etwas glockig zusammenneigend. Sepalen 8-12 mm, Petalen 7-11 mm, Lippe 9-11 mm lang. Hypochil innen olivgrün bis braunschwarz, napfförmig, 4-6 mm lang, Nektar führend, aussen meist weisslich, seltener grün oder hellrosa. Epichil weisslich, oft rosa oder partiell purpurviolett überlaufen (dann meist zusammen mit den Petalen), bis 5 mm lang, herzförmig, so breit wie lang, mit ± umgekrümmter Spitze, am Grunde mit ± glatten, oft etwas runzeligen, grünlich bis rosaviolettfarbigen Höckern. Übergang Hypochil-Epichil relativ breit. Rostelldrüse (=Klebkörper) weisslich, perlenförmig, gut entwickelt. Pollenpakete ziemlich kompakt. |
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Bestäubung: | Durch Wespen, Bienen und Hummeln (lt. Literaturangaben). | |
Blütezeit: | Ab Mitte Juni (frühestens) bis Anfang September (in höheren Lagen). | |
Lebensräume: | In nicht zu dunklen Nadel-, Laubmisch- oder anderen Mischwäldern, auf Waldwiesen, gerne im Bereich von Wald- und Waldwegrändern, seltener auf Magerwiesen in Waldnähe oder in der Nähe von Hecken und Waldsäumen am Rande von Feuchtgebieten, gern über kalkhaltigem Untergrund, kommt aber auch in Gebieten mit Silikatgestein vor, seltener über gewissen Sandsteinen. Vom Tiefland bis 1800 (2000) m ü.NN. |
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Verbreitung: | Brit. Inseln, Süd-, Mittel-, Ost- und Nordeuropa (bis 71°); Nordafrika (nicht zweifelsfrei); Naher und Mittlerer Osten bis Mittelasien (Pakistan, Himalaya) sowie vom Kaukasus bis zum Baikalsee und nordwärts bis Zentralsibirien. In Nordamerika eingeschleppt und eingebürgert. |
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Häufigkeit: | In manchen Regionen der Schweiz verbreitet. Allerdings in Teilgebieten des Mittellandes sowie in einigen alpinen Gegenden selten oder fehlend (über Höhengrenze). Besiedelt auch Sekundärstandorte. |
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Gefährdung: | Relativ gering, ist E. helleborine doch eine unserer häufigsten Orchideen mit guter Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Wuchsbedingungen. Zu frühes Mähen der Waldwegränder oder Düngereintrag bis in den Waldsaum hinein stellen eine potenzielle Gefahr dar. Übermässiger Stickstoffeintrag aus der Luft könnte die Wachstumsbedingungen vor Ort eventuell negativ beeinflussen, was jedoch schwierig abzuschätzen und auch zu beweisen ist. |
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Hybriden: | Kreuzt sich mit E. atrorubens, E. purpurata, vermutlich auch mit E. distans (E. helleborine ssp.orbicularis) und E. muelleri. Mit E. microphylla wird in der Literatur erwähnt, ist aber nicht bestätigt. Hybriden sind oft schwierig zu erkennen, also wären verdächtige Pflanzen besonders kritisch zu begutachten. | |
Zusatzinformationen: | E. helleborine entwickelt oft zahlreiche sterile Sprosse. Diese sind im ausgewachsenen Zustand relativ sicher zu identifizieren. Verwechslung möglich vielleicht mit kleinen blütenlosen E. muelleri sowie E. distans, E. leptochila, E. neglecta, E. rhodanensis (E. bugacensis) und E. fageticola (E. stellifera), soweit letztere fünf wirklich derartige Sprosse ausbilden. Von E. muelleri ist belegt, dass speziell Waldformen sterile Triebe hervorbringen, entgegen Informationen in einigen älteren Literaturtiteln. Solche lassen sich auf Grund der Blattform meist sicher zuordnen. Junge E. helleborine-Pflanzen (bis ca. 10 cm Höhe) sind vor Beginn der Blattentfaltung von den oben erwähnten Epipactisarten oder manchmal auch von Cephalanthera damasonium kaum zweifelsfrei zu unterscheiden. Jungtriebe von E. atrorubens jedoch bereiten weniger Schwierigkeiten, da diese mehrheitlich schmutzig violett überhaucht sind und der Stängel direkt über der Bodenoberfläche fast immer braunrot-rotviolett gefärbt ist, im Gegensatz zu den meisten E. helleborine, deren Stängel in der Austriebsphase unten nicht oder nur minimal schmutzig rosa angehaucht ist (nur Schuppenblatt). E. helleborine ist sehr vielgestaltig, was vermutlich mit den oft markant variierenden Wuchsbedingungen an den verschiedenen Fundorten zusammenhängt: An schattigen, lichtarmen Waldstandorten sind die Laubblätter meist dunkelgrün, relativ lang und weich, oft bogig überhängend und regelmässig am Stängel verteilt angeordnet. An sonnigen Wuchsstellen sind sie mehr gelblichgrün, von fester Textur und relativ kurz, manchmal schräg aufwärts gerichtet (= E. distans / E. helleborine ssp. orbicularis angenähert) und oft im unteren Stängelabschnitt konzentriert, hie und da auch am Stängel verteilt. Das Farbenspektrum der Blüten ist sehr umfangreich: Grün mit Weiss, schmutzig rosa, schmutzig bräunlich oder violettpurpur. Die Sepalen sind meist etwas anders gefärbt als die Petalen und Teile des Epichils. Albino-Pflanzen produzieren keine roten Farbstoffe. Deren Blütenblätter sind unterschiedlich hellgrün, die Lippen weisslich und nur partiell hellgrün. Der Name Epipactis viridans begründet sich vielleicht auf solche Exemplare. Reinweisse Blüten habe ich noch nie beobachtet. |
Pflanzenbeschrieb unter Beizug diverser Literaturquellen sowie gründlicher Durchsicht des persönlichen Dia-Materials.
Zeichnungen etwas modifiziert übernommen aus Hegi, Gustav (um 1908) "Ill. Flora von Mitteleuropa", Band 2
Walter Schmid
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Aktualisiert 16. 03. 2010
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