Exkursion 9.6.12 "Chermignon / Lens"
Autoren Helen Merki, Marie Louise Hintermann, Fotos: Walter Lüssi, Göpf Grimm
Wir zwei Protokollschreiberinnen trafen uns bereits am frühen Morgen in Baden am Bahnhof, und wie ich das bei AGEO-Exkursionen bis jetzt jeweils erlebt habe, wird die Gruppe im Zug immer grösser je näher man dem Ausgangspunkt kommt.
Schliesslich konnten Paolo Trevisan und Albert Kurz bei der Bushaltestelle in Diogne oberhalb von Chermignon insgesamt 21 Personen begrüssen. Das Wetter versprach einen nicht allzu heissen, aber regenfreien Tag - ideale Bedingungen für eine Orchideen-Wanderung! Albert bat uns, doch nicht zu weit zurück zu bleiben, damit wir uns nicht verlieren würden.
Von weitem sahen wir die gelben Felder mit Kugelginster (Genistra radiata), der fast nur noch hier im Gebiet um Montana vorkommt. Wir stiegen aber nicht zu ihm hoch, sondern die Strasse runter zur ‚Grand Bisse de Lens‘.
Dingel Limodorum abortivum Epipactis distans
Rotes Waldvögelein Cephalanthera rubra Astlose Graslilie Anthericum liliago
Die Exkursion war dem Dingel gewidmet und unterhalb der Bushaltestelle fanden wir bereits die ersten Limodorum abortivum. Einige zeigten sich mit perfekt geöffneten Blüten. Im Garten eines Ferienhauses stand eine riesige Gruppe, was für Dingel eher selten ist. Paolo erzählte uns von der interessanten Begegnung mit dem Besitzer, der sich seit Jahren wundern würde, was für ein Kraut da jedes Jahr in seinem Garten spriessen und nie blühen würde. Er hätte sich auch schon gefragt, ob man diese "Spargel" essen könne.
Die Wanderung führte weiter auf einem schattigen, idyllischen Weg der Suone (oder auf Französisch: Bisse) entlang. Eine nicht ganz einfache Herausforderung stellte für mich das Bestimmen der drei verschiedenen Epipactis-Arten dar, die alle noch nicht blühten, aber zum Teil schon recht grosse, kräftige Knospen hatten: Es handelte sich um Epipactis atrorubens, Epipactis helleborine und Epipactis distans (Epi. helleborine subsp. orbicularis) (Zur Problematik der Unterscheidung und Abgrenzung Epipactis distans zu Epi. helleborine subsp. orbicularis siehe Heft 1/2011 Seite 40. Die Redaktion lässt bewusst beide Namen im Artikel stehen).
Vom Cephalanthera damasonium fanden wir noch einige blühende Exemplare, Cephalanthera longifolia, Listera ovata und Orchis militaris waren schon alle abblühend.
Umso mehr Freude machte mir das erste Cephalanthera rubra, das ich entdeckte. Dieses feine rote Blümchen vor dem saftig-grünen Hintergrund war eine echte Augenweide.
Kaum hatten wir den Wald verlassen, befanden wir uns an einem kargen von der Sonne stark erwärmten Hang, an dem sich sogenannte Steppenvegetation beobachten liess. Albert erklärte uns, dass es in der ganzen Schweiz nirgends so wenig Niederschlag gibt wie hier an diesen Walliser Südhängen. Viele der hier wachsenden Pflanzen sind mediterran. Unter andern haben wir gesehen:
Fumana procumbens, Niederliegendes Heideröschen
Onobrychis arenaria, Sand-Esparsette
Stipa pennata, Federgras
Euphorbia seguieriana, Steppenwolfsmilch
Astragalus monspessulanus, Französischer Tragant
Astragalus onobrychis, Esparsetten-Tragant
Ajuga chamaepitys, Gelber Günsel
Ononis natrix, Gelber Hauhechel
Ononis rotundifolia, Rundblättriger Hauhechel
Muscari comosum, Schopfige Traubenhyazinthe
„Ist das jetzt ein süsser Tragant?“ - „Nein das ist doch eine Bärenschote“ - „Ah, das ist auch Astragalus glycyphyllos? Dann meinen wir ja das gleiche!“ Angeregte Diskussionen und das Nachschlagen von Pflanzen brauchten ihre Zeit und so musste Albert zurückkommen und seine langsamsten Schäfchen etwas antreiben.
Mittagshalt machten wir im Wald ‚Revouire‘ bei einer grossen Wegkreuzung. Von weitem war der Kuckuck zu hören. Auch ihm scheint es hier wohl zu sein, weil er an diesen artenreichen Hängen die richtige Vegetation und die für ihn wichtigen Vogelarten findet.
Nach dem Mittagshalt überraschten uns weitere Cephalanthera rubra, einige wuchsen mitten auf dem Weg. So gab es kein Gedränge um ein einzelnes Pflänzchen herum und jeder Fotograf konnte sich sein eigenes aussuchen. Wie immer galt es aufzupassen, dass man beim Niederknien oder Auf-den-Boden-Liegen nicht aus Versehen auf ein weiteres Exemplar drauftrat.
Strassenbotaniker Strassenbotaniker
Meist ist es nicht sehr spannend, einer Hauptstrasse entlangzuwandern. Anders hier auf der Strasse zwischen Lens und Flanthey, denn hier gab es weitere zur Steppenvegetation gehörende Pflanzen zu bestaunen. Die vorbeiflitzenden Auto- und Töfffahrer werden sich gefragt haben, was wir denn wohl hier suchten.
Acker-Rittersporn Consolida regalis Acker-Wachtelweizen Melampyrum arvense Österreichischer Lein Linum austriacum Feinblättriger Lein Linum tenuifolium
Eigentlich war geplant, an dem kleinen Acker unterhalb der Strasse vorbeizugehen. Doch wir wurden von dem blumenreichen Feld magisch angezogen! Da waren ganz viele Pflanzen, die ich zuvor noch nie gesehen hatte! „Unglaublich“, „ganz verreckt“ und viele weitere Kraftausdrücke entlockte uns diese Vegetation. Diesmal versuchte Albert vergebens, seine Führungsverantwortung wahrzunehmen und uns fürs Weiterwandern zu motivieren. Auch unser Präsident gehorchte ihm nicht und meinte, jetzt sei wohl eine „Anarchie“ ausgebrochen. Schliesslich stieg Albert dann auch von der Strasse runter und schaute sich die Blumenpracht aus der Nähe an.
Kornrade Agrostemma githago Acker-Rittersporn Consolida regalis Sommer-Blutströpfchen Adonis aestivalis Venuskamm Scandix pecten-veneris
In dem Acker fanden sich neben Kornblumen und Kornraden ganz viele weitere Raritäten. Ob sie bereits seit Jahren im Boden geschlummert hatten und sich in diesem Jahr gut entwickeln konnten, weil kein Roggen mehr angebaut wurde, oder ob sie angesät wurden, wissen wir nicht mit Sicherheit. Paolo meinte, dass sie auf jeden Fall hierhergehörten und einige sehr selten seien.
Hier eine Zusammenstellung dieser Ackerbegleitflora, die hoffentlich unsere Invasion gut überstanden hat:
Scandix pecten-veneris, Venuskamm
Caucalis platycarpas, Möhren-Haftdolde
Bupleurum rotundifolium, Rundblättriges Hasenohr
Melampyrum arvense, Acker-Wachtelweizen
Centaurea cyanus, Kornblume
Agrostemma githago, Kornrade
Nigella arvensis, Acker-Schwarzkümmel
Consolida regalis, Acker-Rittersporn
Isatis tinctoria, Färberwaid
Salvia verticillata, Quirlige Salbei
Adonis aestivalis, Sommer-Blutströpfchen
Buglossiodes arvensis, Acker-Steinsame
Nonea erecta, Braunes Mönchskraut
Ranunculus arvensis, Acker-Hahnenfuss
Infolge der „Ackerverzögerung“ wählten wir dann für den Rückweg eine direkte Route nach Chermignon d’en bas. Eine der letzten Pflanzen, die uns Albert zeigte, war die gelbe Spargelerbse (Lotus maritimus). Sie kommt bei uns im Aargau häufiger vor als im Wallis und ich war froh, dass ich sie bereits kannte, denn ich glaube nicht, dass sie sonst noch in meinem Kopf Platz gefunden hätte!
Dank Alberts gutem Zeitmanagement blieb genügend Zeit für eine Einkehr ins Restaurant oberhalb der Bushaltestelle. Bei Walliser Bier, Wein oder Wasser und angeregten Gesprächen konnten wir diese tolle Exkursion ausklingen lassen.
„Ackerbegleitfloristen“
Zum Schluss möchte ich Albert und Paolo für die kompetente und umsichtige Leitung ganz herzlich danken. Ihr habt uns in ein wunderschönes, spannendes Gebiet geführt! Ich bin noch nicht lange bei der AGEO dabei, geniesse es jedoch bei jeder Exkursion sehr, mit Leuten zusammen zu sein, die sich für unsere einheimischen Pflanzen interessieren und unheimlich viel wissen, nicht nur über Orchideen, auch über Bäume, Käfer, Falter und vieles mehr.
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Aktualisiert 04. 07. 2012