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Exkursion Immenberg - Bietehart (TG) vom 17. Mai 2008

Text: Roland Wüest, Fotos: Jakob Gnägi


"Feuchte Luftmassen über der Schweiz, am Vormittag ganz im Osten unter Föhneinfluss noch trockene Abschnitte möglich" - so lautete die wenig versprechende Wetterprognose für diesen Samstag. Nichtsdestotrotz konnten die Exkursionsleiter, Albert Kurz und Göpf Grimm, um 09:00 Uhr auf dem Parkplatz "Mätteli" hinter dem Bahnhof Frauenfeld 34 erwartungsvolle Orchideenfreunde willkommen heissen. Zu diesem Zeitpunkt war die Witterung überraschend angenehm: Bei milder Temperatur herrschte lediglich eine leichte Bewölkung. Um möglichst wenig Zeit zu verlieren, hatten die beiden "Alphatiere" nützliche Vorarbeit geleistet: Die Automobilisten erhielten übersichtliche Routenpläne und Zettel mit den zugeteilten Passagieren. Umgekehrt kriegten die Bahnreisenden Blätter mit ihren Chauffeuren. In Bälde fuhren wir durch ländliche Gegenden nach Weingarten am Fusse des Immenbergs, Ausgangspunkt der ersten Biotopbesichtigung. Das Bauern- und Forstwart-Ehepaar Signer erlaubte uns grosszügig, unsere Fahrzeuge auf ihrem Anwesen abzustellen.


Biotop Aufnahme, Foto Jakob GnägiFrauenschuhe, Foto Jakob GnägiVor Abmarsch stiess Herr Brägger von Pro Natura Thurgau zu uns und erläuterte die Gegebenheiten des Immenbergs genauer: "Der Immenberg bildet einen markanten Hügelzug südlich der Thur. Wechsellagernde Schichten von Nagelfluh, Molasse-Sandstein und Mergel sowie in der Falllinie verlaufende Tälchen, Rinnen und Rippen prägen das Relief. Diese verschiedensten Geländetypen in Form von Felsen, Trocken- und Feuchtwiesen, lichtem Misch- und dem für die Schweiz ganz seltenen Orchideen-Föhrenwald bilden die Grundlage für eine äusserst vielfältige Pflanzen-- und Tierwelt. Als Leitarten gelten der Frauenschuh (Cypripedium calceolus) sowie der Waldteufel (Erebia aethiops), ein besonders schützenswerter Vertreter der Augenfalter. Naturbegeisterte beobachten und dokumentieren die Evolution punkto Flora und Fauna seit Jahrzehnten. Seit 1977 werden am Immenberg mit grossem Erfolg Biotoppflege-Einsätze durchgeführt. Insgesamt hat man für die Erhaltung dieses kostbaren Gebiets schon gegen 2 Mio. Franken aufgewendet."

 


Gruppen Aufnahme, Foto Jakob GnägiWir durften uns also auf einiges freuen. Um dem so oft zitierten "Trampeltier"-Klischee entgegenzuwirken, teilten wir uns in zwei ausgeglichene Gruppen auf. Herr Brägger hatte uns wahrlich nicht zu viel versprochen: Göpf Grimm und er führten uns zu Beginn der Wanderung durch eine imposante Waldwiese, die mit stattlichen Orchis purpurea (Purpur-Knabenkraut) und Listera ovata (Grosses Zweiblatt) übersät war. Im steileren Gelände gesellten sich auch Ophrys insectifera (Fliegen-Ragwurz), Neottia nidus-avis (Nestwurz) und der im Vorfeld angekündigte Cypripedium calceolus (Frauenschuh) hinzu. Das Blitzlicht-Gewitter der Fotografen war eröffnet! Der für unser Land dermassen bedeutende Orchideen-Föhrenwald liegt im östlichen Teil des hochkarätigen Territoriums. Dort wimmelte es von aufblühenden Platanthera bifolia (Zweiblättrige Waldhyazinthe) sowie knospenden Epipactis atrorubens (Braunrote Sumpfwurz) und Gymnadenia conopsea (Mücken-Handwurz). Zwischendurch hörte man immer wieder die unverkennbaren Laute des Schwarzspechts (Dryocopus martius). Betreffend Artenvielfalt berichtete uns Herr Brägger, dass der Immenberg neben Orchideen noch andere botanische Schätze beherberge, wie zum Beispiel Fransen- (Gentiana ciliata) und Schwalbenwurz-Enzian (Gentiana asclepiadea), Türkenbund-Lilie (Lilium martagon), Pimpernuss (Staphylea pinnata), Gemeiner Seidelbast (Daphne mezereum), Elsbeerbaum (Sorbus torminalis) sowie Immergrüne Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi), ein Glazialrelikt.

 


Purpur-Knabenkraut, Foto Jakob GnägiWährend der Querpassage in den westlichen Teil erblickten wir inmitten eines prächtigen Purpurorchis-Bestandes (Orchis purpurea) einen pinkfarbenen Ausreisser. Der Schreiber hatte so seine Vermutungen und betrachtete sich das Objekt der Begierde aus der Nähe: Tatsächlich handelte es sich um eine Hybride mit Helmorchis (Orchis militaris x purpurea). Herr Brägger meinte, dass das Helm-Knabenkraut (Orchis militaris) sehr unregelmässig in wenigen Exemplaren hier anzutreffen sei, und Göpf Grimm bestätigte, beim Rekognoszieren einen weiteren solchen Bastard gesehen zu haben. Für den einzigen Wermutstropfen sorgte ein Mountainbiker, der für seine Tour ausgerechnet den schmalen Besichtigungspfad durchs Naturschutzgebiet wählte. Auf Herrn Bräggers Frage, ob er sich bewusst sei, dass er sich in einem Orchideenbiotop von nationaler Bedeutung befinde, erwiderte er abgedroschen, er sei hier nicht ortskundig.- Am Rande des Natur-Eldorados steht ein gemütlicher Picknick-Platz zur Verfügung, wo wir die Mittagsrast einschalteten. An dieser Stelle verabschiedeten sich Herr Brägger und das Ehepaar Signer.

 


Mittagsrast, Foto Jakob GnägiUm das Wetterglück nicht herauszufordern, verschoben wir uns rund drei Viertelstunden früher als geplant in Richtung Bietehart, unsere zweite Destination, die ein paar Kilometer nördlich des Immenbergs liegt. Bei der Waldhütte "Langholz" konnten wir unsere Autos vorzüglich parkieren. Albert Kurz und Göpf Grimm führten uns zu einem alten Sodbrunnen, dessen Wasserstand sich in 13,5 m Tiefe befindet. Auch hier erwies sich die Vegetation als deutlich fortgeschrittener, verglichen mit der Region Baden. Eine grössere Manns-Knabenkraut-Population (Orchis-mascula) war bis auf wenige Individuen bereits völlig verblüht, und dies auf fast 700 m Meereshöhe. - Unmittelbar dahinter verbarg sich auf einem Föhrenwäldchen-Plateau ein Kleinod von unbändiger Schönheit: Etwa ein Dutzend Frauenschuh-Stöcke (Cypripedium calceolus) unterschiedlicher Grösse präsentierten sich in Hochblüte, unterstützt vom Langblättrigen (Cephalanthera longifolia) und Weissen Waldvögelein (Cephalanthera damasonium), der Nestwurz (Neottia nidus-avis) wie auch vom Grossen Zweiblatt (Listera ovata). Zusätzlich zeigte uns Albert Kurz kräftige Rosetten der Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera). Nebst der AGEO genossen noch andere Orchideenliebhaber dieses Naturspektakel. Alle schwelgten eine Zeit lang in einer anderen, friedlicheren Welt.

 


Auf dem Rückweg verdunkelte sich der Himmel verdächtig. Die Fahrzeuge erreichten wir gerade noch trocken. Hingegen erfolgte die Verabschiedung im Nassen; denn null Komma plötzlich brach ein Mega-Platzregen aus, dessen Intensität einer erfrischenden Dusche gleichkam. Das Intermezzo währte allerdings nur kurz. Bereits eingangs Frauenfeld war der Spuk vorbei und die Szenerie wieder trocken. Für die beispielhafte Organisation und die kompetente Führung entbiete ich den beiden Exkursionsleitern, Albert Kurz und Göpf Grimm, im Namen aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein dickes Lob. Ebenfalls ein herzliches Dankeschön gebührt den drei Immenberg-Spezialisten, Herrn Brägger von Pro Natura Thurgau sowie dem Bauern- und Forstwart-Ehepaar Signer aus Weingarten, und nicht zuletzt Petrus, der für uns ein nicht zu verachtendes Einsehen hatte.

Orchideenfundliste Immenberg - Bietehart

Kürzel: R = Rosette, K = knospend, AU = aufblühend, AB = abblühend

Immenberg

Cephalanthera damasonium    Weisses Waldvögelein (AU)
Cephalanthera longifolia Langblättriges Waldvögelein
Cypripedium calceolus Frauenschuh
Epipactis atrorubens Braunrote Sumpfwurz (K)
Gymnadenia conopsea Mücken-Handwurz (K)
Listera ovata Grosses Zweiblatt
Neottia nidus-avis Nestwurz
Ophrys apifera Bienen-Ragwurz (R)
Ophrys insectifera Fliegen-Ragwurz
Orchis purpurea Purpur-Knabenkraut
Platanthera bifolia Zweiblättrige Waldhyazinthe (AU)
Platanthera chlorantha Grüne Waldhyazinthe (K)
Hybride (2 Ex.):
Orchis militaris x purpurea

Helm- x Purpur-Knabenkraut

Bietehart

Cephalanthera damasonium    Weisses Waldvögelein (K)
Cephalanthera longifolia Langblättriges Waldvögelein
Cypripedium calceolus Frauenschuh
Listera ovata Grosses Zweiblatt
Neottia nidus-avis Nestwurz
Ophrys apifera Bienen-Ragwurz (R)
Orchis mascula Manns-Knabenkraut (AB)

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Aktualisiert 27. 01. 2009

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